Venezuela: 4,6 Millionen Menschen fliehen vor humanitärer Krise
Die neusten Flüchtlingsstatistiken aus Venezuela sind erschreckend. Das südamerikanische Land erlebt aktuell die größte Flucht- und Migrationsbewegung der jüngeren Vergangenheit. 4,6 Millionen Venezolaner haben ihre Heimat bereits verlassen. Täglich kommen über 5.000 neue dazu. Der Anteil der Geflüchteten an der Bevölkerung gemessen ist dabei höher als in Syrien. Das Land steckt mitten in einer verheerenden humanitären Krise. Was dieser Krise zu Grunde liegt, ist nicht einfach zu erklären. Die Wirtschaft in Venezuela ist am Boden, die Politik liegt direkt daneben. Was von beidem das größere Problem ist, lässt sich schwer ausmachen. Regierung und Opposition tragen offene Konflikte aus, die mit gegenseitigem Respekt nichts zu tun haben. Sicherheitskräfte und Demonstranten führen diese Konflikte auf der Straße fort. Mit friedlichen Protesten hat auch das nichts zu tun. Und dann sind da noch die USA, spielt mit, mischt mit und mischt sich ein. 1) epo.de: Venezuela: Zahl der Flüchtlinge überschreitet vier Millionen; Artikel vom 18.12.2019
In Venezuela fehlt es an allem
Venezuela hat aktuell wirklich wenig. Keine Nahrung, kein Trinkwasser, keine Medikamente. Der Strom fällt aus. Gesundheits- und Bildungssystem liegen am Boden. Krankheiten, wie Malaria sind wieder auf dem Vormarsch. Die Inflation beläuft sich 2019 laut Prognose auf 200.000 Prozent. Kaufen geht nicht mehr. Die Menschen schließen Geschäfte im Tausch ab. Seit die USA Venezuela und den staatlichen Ölkonzern PDVSA Ende 2017 mit Sanktionen zu belegen begannen, verwandelte sich die Inflation in eine Hyperinflation. Was hat Venezuela sonst noch? Erdöl. Davon sogar ziemlich viel, weltweit am meisten. Ein verhängnisvoller Reichtum, denn wo 95 Prozent der Staatseinnahmen auf dem Ölexport basieren, da tut der globale Ölpreisverfall besonders weh. Venezuela traf er mit voller Wucht. Mindestens ebenso schmerzhaft sind Korruption und Missmanagement. Der amtierende Präsident Nicolas Maduro hat keine erkennbare Wirtschaftspolitik oder sie zumindest im Streben um den Erhalt seiner Macht vergessen. All das, was Venezuela sich an Wirtschaft irgendwann einmal aufgebaut hat, ist der Wertminderung zum Opfer gefallen. Es wären umfangreiche politische Maßnahmen von Nöten, um die Wirtschaft wieder zu stabilisieren. Das lässt die aktuelle politische Situation jedoch nicht zu. 2) Capital: Krisenstaat: Warum Venezuelas Wirtschaft kollabiert ist; nicht mehr verfügbar 3) Zeit Online: Venezuela: Sein Sozialismus ist nicht zu retten; Artikel vom 21.05.2018 4) Deutsche Welle: Wirtschaft: Extreme Inflation in Venezuela; nicht mehr verfügbarZwei Präsidenten und keine Fortschritte
Seit der Parlamentswahl 2015 spitzt sich der innenpolitische Konflikt in Venezuela fortlaufend zu. Im Januar 2019 ernannte sich der Oppositionsführer und Parlamentspräsident Juan Guaidó selbst zum Interimspräsidenten und leitete damit den Versuch ein, Staatschef Nicolás Maduro zu entmachten. Die Begründung: Die Wiederwahl Maduros zum Präsidenten im Mai 2018 gilt als manipuliert. Guaidó wurde sofort von den USA und rund 50 weiteren Staaten als Übergangspräsident anerkannt. Die Erwartungen rund um seine Person waren mehr als hoch, die internationalen Leitmedien scheinen rückblickend seine größten Verbündeten gewesen zu sein. Maduro ließ sich nicht einschüchtern. Eisern hielt er weiter an seiner Macht fest und blockierte internationale Hilfslieferungen, auf die seine hungernde Bevölkerung dringen angewiesen war. Im Mai desselben Jahres intensivierte sich der Kampf zwischen den Lagern. Guaidó rief seine Anhänger zum „größten Aufmarsch in der Geschichte Venezuelas“ auf. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Mehrere Menschen kamen dabei ums Leben. Der Versuch das Militär für sich zu gewinnen scheiterte. Für die Opposition ist Maduro verantwortlich für Armut und Hunger des Landes. Ihm werden Diktatur und unrechtmäßige Machtübernahme vorgeworfen. Für die Gegenseite ist Guaidó ein Putschist. Zusammengefasst bedeutet das: Venezuela hat aktuell zwei Präsidenten, aber keinen, der für ausreichend Verbesserung sorgt. Faktisch und ganz real hat der Interimspräsident nichts erreicht. Er konnte seine Macht nicht ausbauen, den amtierenden Staatschef selbst im Rahmen der so prekären wirtschaftlichen Lage nicht stürzen. Die Opposition ist zum Ende des Jahres 2019 nichts als enttäuscht und gespalten. Maduro profitiert davon. 5) Welt: USA: Militärische Intervention in Venezuela ist „möglich“; Artikel vom 02.05.2019 6) Spiegel: Machtkampf in Venezuela: Maduro sperrt die Opposition aus; Artikel vom 06.01.2020 7) Zeit Online: Venezuela: Nicolás Maduro verbietet Hilfslieferung; Artikel vom 07.02.2019
Die USA sind immer da, wo das Erdöl ist
Vermutlich gestalten zwei sich ablehnende Präsidenten, die gleichzeitig versuchen die Macht eines Landes für sich zu beanspruchen, einen politischen Konflikt schon kompliziert genug. Aber noch viel komplizierter wird so ein Konflikt, durch die Einmischung Außenstehender, beziehungsweise anderer Staaten, die hauptsächlich im eigenen Interesse handeln. Auf der Seite Guaidós stehen die USA, Deutschland und zahlreiche weitere Länder. Maduro wird maßgeblich von Russland unterstützt. 40 Prozent der venezolanischen Ölexporte gehen an die USA. Während sich die US-Sanktionen Anfangs nur gegen venezolanische Einzelpersonen richteten, wandelteten sie sich Ende 2017 in eine Repressalie, die klar darauf ausgerichtet ist, die ruinierte Wirtschaft noch weiter zu zerstören. Hinzu kommt die öffentliche und direkte Ablehnung Maduros. Mit der Anerkennung und Unterstützung Guaidós im gleichen Atemzug beziehen die USA deutlich Stellung. Das mag eine alte Leier sein, aber die USA sind gut darin sich die Welt in gut und böse einzuteilen und daran festzuhalten. Wie heuchlerisch das jedoch ist, wenn man sich alleine die amerikanische Beziehung mit Saudi-Arabien anschaut, lässt vermuten, dass es den Vereinigten Staaten wenig um Venezuela und viel um eigene Interessen geht. Dass es der Bundesregierung in diesem Zuge nicht gelingt sich einem staatsfremden Konflikt gegenüber neutral zu verhalten, ist enttäuschend. Im Januar 2019 hielt die US-Regierung eine Militärintervention in dem südamerikanischen Land noch für ausgeschlossen, aber schon wenig später lagen bezüglich der venezolanischen Krise „alle Optionen“ auf dem Tisch. Es stellt sich die Frage, worum es den USA eigentlich genau geht. Woher die weit verbreitete Abneigung gegenüber Maduro rührt. Denn es muss eine starke Abneigung sein, wenn der republikanische Senator Marco Rubio aus Florida damit droht, Maduro missbrauchen und ermorden zu lassen, wie es mit Muammar al-Gaddafi getan wurde. Der Sozialismus Venezuelas ist dem amerikanischen Turbo Kapitalismus ein Dorn im Auge. Aber vor allem geht es wohl um die Erdölreserven und das daran klebende Geld. Trumps Sicherheitsberater traf im letzten Februar eine Aussage, die die alten Spekulationen, den USA würde es in Lateinamerika hauptsächlich um wirtschaftliche Interessen gehen, zu bestätigen scheint. „Es wäre für die Vereinigten Staaten wirtschaftlich von großer Bedeutung, wenn amerikanische Öl-Gesellschaften [in Venezuela] investieren und die Fördermöglichkeiten aufbauen können. Das wäre gut für die Bevölkerung in Venezuela und in den USA.“, so John Bolton. Die Vereinigten Staaten mischen gerne überall mit, vor allem in Südamerika hat das Tradition. Angesichts des großen Leids, dem die Bevölkerung ausgesetzt ist, klingt es unglaubwürdig, wenn Regierungskreise betonen, es würde in Venezuela alleine um das Ende der Maduro Diktatur und das Wohl des Volkes gehen. 8) Deutschlandfunk Kultur: Venezuela im Würgegriff: Guaidó, Maduro und drei Weltmächte; Artikel vom 11.02.2019 9) BR24: Venezuela: Welche Interessen verfolgen die USA?; nicht mehr verfügbar 10) Welt: USA: Militärische Intervention in Venezuela ist „möglich“; Artikel vom 02.05.2019 Letztendlich ist für die 4,5 Millionen Venezolaner, die ihr Land bereits verlassen haben, und den Teil der Bevölkerung, der sich noch innerhalb der Landesgrenzen befindet, zu hoffen, dass sich eine friedliche, politische Lösung finden lässt. Ohne Akteure, die von den USA oder anderen Staaten zu ihren Marionetten gemacht werden und egoistische wirtschaftliche Interessen verfolgen. Die Fehler Maduros und Guaidós sind nicht zu leugnen, aber dass die USA kontraproduktive Hilfe leisten, auch nicht. Hinter Syrien und Afghanistan ist Venezuela mittlerweile Hauptherkunftsland der europäischen Asylbewerber. Die Zahlen verdoppeln sich von Jahr zu Jahr. Spätestens so sind wir von ihrem Schicksal mit betroffen. Eigentlich betrifft es uns aber schon viel früher. 11) Spiegel: Von Venezuela nach Spanien: Die willkommenen Flüchtlinge; Artikel vom 23.08.2019
Fußnoten und Quellen:
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