Französische Waffen, amerikanisches Geld und die Zivilisten, die die Hauptlast des ägyptischen Kampfes gegen den Terrorismus tragen
Der Kampf gegen Terrorismus ist immer mit hohen Kosten verbunden, und im ägyptischen Nord-Sinai sind diese Kosten die Leben und Lebensunterhalte von Tausenden von Zivilisten. Die Provinzgruppe Sinai, ein lokaler ISIS-Ableger, ist seit 2011 in der Region aktiv, in der er sich absichtlich Zivilisten zum Ziel gesetzt hat. Insbesondere Regierungsanhänger, Armeesympathisanten, Christen und Muslime, die seiner genauen Lehre nicht folgen, stehen im Fadenkreuz der Gruppe. Seit dem Amtsantritt der Regierung von Abdel Fatah al-Sissi im Jahr 2013 sind die Gefechte eskaliert, während die Provinzgruppe Sinai ihren Fokus auf ägyptische Sicherheitskräfte verlagerte und das ägyptische Militär mit entsprechender Gewalt reagierte. Sechs Jahre nach dem Anfang des Konflikts fühlen sich die Einwohner des Nord-Sinai immer noch nicht sicher. Die Sicherheitskräfte der Regierung können sie nicht vor den Radikalen schützen, stattdessen begegnen sie Ihnen mit Misstrauen, Verdächtigungen und Gewalt. Für die Einwohner des Nord-Sinai scheint es gerade so, als ob sie von allen Seiten ins Visier genommen werden. 1) Stanford Center for International Security and Cooperation: Islamic State – Sinai Province; stand Dezember 2018 2) Human Rights Watch: Ägypten: Schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen im Nord-Sinai; Artikel vom 28.05.2019
Die Präsenz der Sicherheitskräfte in Nord-Sinai ist allgegenwärtig. Sie führen regelmäßige gewalttätige Hausdurchsuchungen durch, bei denen Tausende von Zivilisten willkürlich festgenommen werden. Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht von Human Rights Watch sind solche Festnahmen ein Teil einer umfassenden Kampagne von systematischem Unrecht. Dazu gehört auch das „Verschwindenlassen“ von Personen, Folter und außergerichtliche Tötungen. Die Regierung lässt keine unabhängige Berichterstattung über die Vorfälle zu. Journalisten werden oft inhaftiert, ebenso wie Menschenrechtsverteidiger und Demonstranten. Zehntausende von Menschen wurden gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben, mit wenig oder gar keiner Hilfe für temporäre Unterkünfte und ohne Gerichtsverfahren. Tausende mehr sind in den letzten Jahren geflohen, um dem Konflikt zu entkommen, und diejenigen, die ihre Heimat verlassen, fürchten, niemals mehr zurückkehren zu können. 3) Human Rights Watch: Why Did You Leave Sinai? Artikel vom 28.05.2019 4) Human Rights Watch: If You Are Afraid for Your Lives, Leave Sinai!; Stand 28.05.2019
Offiziell geht die Regierung gegen Terroristen vor, so zumindest die Kommunikation nach außen. So strömt Unterstützung von westlichen Nationen wie Frankreich und den USA in Form von Waffen und Geld ins Land. Zwischen 2013 und 2017 holte Frankreich die USA als den größten Waffenlieferanten Ägyptens ein, mit Exporten in Höhe von insgesamt 1,4 Milliarden Euro alleine 2017. Für die französische Regierung ist Ägypten ein wichtiger Mitstreiter im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Daher stellt Frankreich den ägyptischen Streitkräften eine konstante Lieferung von Militärgerät wie Panzerfahrzeuge, Ausrüstung und Munition bereit. Dieses Kriegswerkzeug wird jedoch nicht ausschließlich gegen terroristische Organisationen benutzt. Seit Jahren hat Kairo terroristische Bedrohungen wie die Provinzgruppe Sinai als eine Ausrede verwendet, um friedliche Gegner, Kritiker und Menschenrechtsaktivisten auszuschalten. Und französische Waffen spielen hierbei eine belastende Rolle. 5) Human Rights Watch: How French Weapons Enable Egypt’s Abuses; Artikel vom 28.01.2019
Obwohl Waffen aus Frankreich offiziell nur für das Militär und nicht für den Gesetzesvollzug erlaubt sind, haben Organisationen wie Amnesty International und die International Federation for Human Rights aufgezeigt, dass französisches Kriegsgerät für die Verhinderung von friedlichen Protesten und andere unterdrückende Maßnahmen verwendet wurde. So wurden beispielsweise beim Massaker von Rabaa und Nahda im Jahr 2013 mit von Frankreich gelieferten gepanzerten Fahrzeugen bis zu 1000 Demonstranten von der ägyptischen Regierung getötet. Außerdem haben französische Unternehmen die Zustimmung ihrer Regierung, derartiges Gerät, das zur Überwachung und zur Kontrolle von Menschenmassen gedacht ist, an die ägyptischen Streitkräfte zu liefern. Es wurde bereits nachweislich zur Bekämpfung von Menschen- und Arbeitsrechtlern, LGBT-Gemeinden und andersdenkender Akademiker eingesetzt. Frankreich ist sich dieser Umleitung seiner Exporte für so genannte Strafverfolgungszwecke bewusst. Französische Beamte gaben sogar zu, dass nicht alle ihre gelieferten Fahrzeuge zu rein militärischen Zwecken, nämlich zur Bekämpfung von Terrorismus, benutzt wurden. Doch gehen die Waffenlieferungen ohne Anzeichen einer Rüge immer weiter. 6) Amnesty International: Egypt: How French Arms Were Used to Crush Dissent; Stand 16.10.2018
Frankreich ist in seiner rücksichtlosen Unterstützung Ägyptens nicht allein. Seit Juli 2018 gaben die Vereinigten Staaten Millionen von Dollar an militärischer Hilfe frei, die ursprünglich aus Menschenrechtsgründen verweigert wurde. Diese Freigabe von Geldern rechtfertigt die US-Regierung mit der Verbesserung der Menschenrechtsbilanz des Landes. Unabhängige Analysen deuten jedoch darauf hin, dass das Durchgreifen gegen die friedliche Opposition einfach durch die Einschränkung der unabhängigen Berichterstattung verdeckt wird, und Zivilisten in Orten wie dem Nord-Sinai weiterhin brutal von den Sicherheitskräften behandelt werden. Damit sendet Washington eine gefährliche Botschaft: Anstatt als eine Kraft zu fungieren, die Grundfreiheiten und -rechte fördert, zeigen die USA, dass diese Freiheiten und Rechte akzeptable Opfer im Kampf gegen den Terrorismus sind. 7) VOA News: US Releases Aid to Egypt Amid Human Rights Concerns; Artikel vom 06.09.2018
Für die Einwohner des Nord-Sinai besiegelt die Unterstützung aus Frankreich und den USA ihr Schicksal. Da die ägyptische Regierung von ihren Unterstützern keine Sanktionen zu erwarten hat, dürften die rechtswidrigen Anschläge auf Zivilisten, die Vernichtung von Häusern und gewaltsame Vertreibungen wahrscheinlich anhalten. Außerdem könnte die Unterstützung letztendlich kontraproduktiv im Kampf gegen den Terrorismus sein, obwohl Ägypten als ein Bollwerk angepriesen wird. Die schrecklichen Haftbedingungen im Land dienen jedoch als Brutstätten für Radikalisierung. Anstatt Waffen und Finanzmittel bereitzustellen, sollten die ausländischen Verbündeten ihre Unterstützung für eine missbräuchliche Militäraktion einstellen, die Tausende von zivilen Opfern gefordert hat – bis Ägypten seine Missbräuche endgültig beendet.
Fußnoten und Quellen:
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